Schönheit im Verschwinden 55th Venice Biennale/GAA Foundation, Palazzo Bembo „Personal Structures“, Anne Herzbluth „ONCE“
Schönheit im Verschwinden
In ihrem vielleicht als nomadisch zu bezeichnenden Leben hat die zurzeit auf einem Gut bei Kiel lebende Künstlerin auch zwei Jahre in New Orleans verbracht. Dort hat sie die Polaroid-Reste gefunden, auf die das Licht-Bild-Objekt „Once“ zurückgeht. Aber das sollte trotz schöner Assoziationen zur geheimen Magie jenes Ortes, zur dort manifesten zerstörerischen Kraft des Wassers und zu Voudou-Zauber vielleicht gar nicht verraten werden. Denn der technische Auslöser für diesen eigenen Blick auf die Welt, den die Künstlerin schon als Kind nachdrücklich gepflegt hat, ist nicht so wichtig, wie die Möglichkeit zu kontemplativ erschließbaren Assoziationen.
Für Anne Herzbluth ist Kunst so etwas wie ein Wolf im Schafspelz – die äußere Form darf einen kritischen Inhalt auch verbergen. Schon in ihren großen, aus verschiedenen kleineren Arbeiten zusammengenähten „Wall-Hangings“ arbeitet sie daran, aus kombinierten Medienbildern eine ästhetisch geordnete Erinnerungslandschaft zu gewinnen. Dabei löst sich das Einzelbild in der Collage auf, es muss sich dem stets schwierigen Versuch unterordnen, Zusammenhänge zu gewähren.
Auflösung prägt auch ihre Personendarstellungen: Immer stärker verschwimmen erst die Gesichter, dann die Körper in der Tiefe der Farbe. In der Malerei ist dies ein langfristiger Arbeitsprozess, der die Künstlerin allmählich zu einer von verborgener Bedeutung durchströmten Abstraktion führt. Bei den hier zugrundeliegenden gefundenen Photos hat das Material selbst mitgearbeitet und für jenes Verschwinden einst sicher geglaubter Abbilder gesorgt, das Anne Herzblut besonders interessiert. In den 3 x 3 Fototafeln ihres Licht-Bild-Objekts hat sie sich der Farbchemie, ja der mikrobakteriellen Biologie als Helfer versichert. In starker Vergrößerung zeigt sie deren zersetzende Wirkung auf den Versuch, Familienphotos auf Dauer zu stellen. Das Ergebnis ist eine Schönheit im Zerfall, die aus der Mutter mit Küchenschürze und den mit T-Shirt bekleideten Kindern auf dem Sofa Bildvisionen zwischen Mikro- und Makrokosmos macht. Das neugewonnene Bild irritiert zwischen scheinbar detaillierter Präsenz von Körpersekreten und jenen geisterhaften Formen, die aus den Ausblühungen einer ungepflegten historischen Wand zu lesen wären – hier in Venedig insbesondere. Die Lust, sich solche Schemen genauer anzugucken, fördert Anne Herzbluth mit der Hinterleuchtung und der langsam pulsierenden Lichtregie. Denn in den Zeiten omnipräsenter schneller Medien, scheint das bloße Bild allein gar nicht mehr attraktiv genug, es noch länger auf sich wirken zu lassen und intensiv zu durchforschen. Doch eben solche Bild-Meditation ist hier erwünscht: Auch wenn die glänzend technoide Form es nicht sogleich nahelegt – in der Referenz auf die Vanitas-Symbolik ist dieses neunfache Quadrat einem Altarbild über die Vergeblichkeit des menschlichen Strebens und Lebens sehr verwandt.
(Hajo Schiff)